Pfingstmontag (1. 6.) 2009,
Predigttexte: Sach 4,6 (Wochenspruch), Mt 16,13-19 (I. Reihe)
Gnade sei mit euch
und Friede von GOtt, unserem Vater,
und dem Herrn Jesus Christus!
Amen.
Liebe Gemeinde!
Schawuot — ein Erntefest im Frühjahr? Das ist für unsere Breiten doch eher befremdlich. Viel gibt es da bei uns jetzt noch nicht zu ernten. Bis Johannistag der Spargel vielleicht — aber sonst? Und zu diesem Erntefest waren Apostel, Jüngerinnen und Jünger Jesu in Jerusalem versammelt. Aber ist das, was da berichtet wird, ist diese Pfingstgeschichte nicht ebenfalls eine sehr fremdartige und befremdende Erzählung für uns?
Mit Weihnachten können wir wohl alle etwas anfangen. Daß ein Kind geboren wird, das liegt ganz in unserem Erfahrungsschatz. Daß sich Menschen über den neuen Ehrenbürger freuen, das können wir gut nachvollziehen. Das, was da Weihnachten geschieht, ist für uns eigentlich ganz anschaulich. Da können wir mit.
Schwerer wird es dann schon mit Ostern. Daß Menschen sterben, erleben wir immer wieder. Und ich sage jetzt nichts Erstaunliches, das wissen wir alle sehr gut, je älter ein Mensch wird, desto häufiger mußte er in seinem Leben schon von anderen Abschied nehmen. Das kennen wir. Und nun ja, das mit der Auferstehung will uns dann auch noch einleuchtend erscheinen. Es entzieht sich zwar unseren persönlichen Erfahrungen, aber irgend etwas muß ja dran gewesen sein. Sonst wäre es kaum mit der Sache Jesu weitergegangen. Sonst säßen wir nicht heute morgen hier weit weg von Jerusalem in Pichelsdorf in der Gnadenkirche.
Aber Pfingsten? Gut, wenn wir sagen, Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, damit können wir auch noch etwas anfangen. Geburtstag, da gibt es Kaffee und Kuchen, vielleicht an einer festlichen Tafel, da sind viele beieinander versammelt, und abends gibts dann noch gemeinsam Abendbrot. Geburtstag, das hat etwas von Gemeinschaft. Und das Pfingstfest ist der Geburtstag der weltweiten Gemeinschaft der Christenheit.
Aber Pfingsten ist ja noch mehr. Pfingsten ist das Fest von der Ausgießung des Heiligen Geistes. Wir hatten zu Beginn des GOttesdienstes den Wochenspruch für die Pfingstwoche gehört. Er steht im 4. Kapitel des Prophetenbuches Sacharja, Vers 6. Ich lese ihn noch einmal:
Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.
Dieser Vers aus dem Sacharjabuch führt uns nun noch einmal in eine ganz andere Zeit. Noch weiter vor die Pfingstereignisse in Jerusalem. Es ist die Zeit, als das jüdische Volk im babylonischen Exil saß. In unseren 50er/60er Jahren wurde diese Situation gerne mit denen der Heimatvertriebenen verglichen. Die Menschen wohnten seit siebzig Jahren in Babylon — und jetzt sollten sie nach Judäa zurückkehren. Das war für sie keine Rückkehr. Sie waren alle in Babylon geboren. Vielleicht bereits die vierte oder gar fünfte Generation. Ihnen ging es dort gut. Sie waren in Babylon zuhause. Was sollten sie in Judäa? Sie hatten kein Bezug zu diesem Land. Viele wollten bleiben. Ihr Aufbruch vollzog sich mehr oder minder mit Zwang.
Und sie wurden auch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Dort, wo sie hinkamen, wohnten ja Fremde. Und Jerusalem, die einstige Hauptstadt, und ihr Heiligtum waren zerstört. — Hier funktioniert die Gleichsetzung mit den Heimatvertriebenen nun nicht mehr. Denn die Vertriebenen bauten auf. Sie kamen teilweise in Regionen Deutschlands, die zuvor unterentwickelt waren. Neue Betriebe entstanden. Kleinindustrien, die es vorher dort nicht gab. Mit vielen Kraftanstrengungen ging es aufwärts — das berühmte Wirtschaftswunder.
Anders vor 2500 Jahren in Judäa. Das Land, in das sie kamen, war zweifellos arm. Und es stellte sich kein Wirtschaftswunder ein. Der Wiederaufbau des Salomonischen Tempels in Jerusalem verzögerte sich. Dabei gab es nicht wenige, die hofften, daß nun bald die GOttesherrschaft auf Erden Wirklichkeit werden würde. Wenn der Tempel fertig wäre, könnte auch das Reich GOttes anbrechen.
Aber bei manchen ging der Bau des eigenen Hauses vor. Manchmal mußte zur Abwehr kriegerischer Nachbarvölker statt zur Maurerkelle auch zur Waffe gegriffen werden. Da konnte der Tempelaufbau manchmal nur mit Zwang vorangetrieben werden.
Mitten in diese harten Auseinandersetzungen hinein ergeht GOttes Wort durch den Propheten Sacharja. Er soll sagen, daß GOtt eine deutliche Grenze zieht, zwischen seinem Vorhaben und ihrem Erzwingenwollen. GOttes Pläne und Wege verlaufen anders, als wir es oftmals meinen. GOttes Kommen in unsere Welt läßt sich nicht erzwingen. Auch dann nicht, wenn die Ziele so nahe zu sein scheinen, wie es die Judäer hofften, daß mit der Fertigstellung des Tempels die GOttesherrschaft anbrechen würde.
Das Wort des Propheten Sacharja ist eine deutliche Absage an den menschlichen Eigenwillen. Das soll uns aber auf der anderen Seite nicht dazu verleiten, daß wir uns von allem zurückziehen. All zu schnell wird anhand solcher Bibeltexte die menschliche Hybris verurteilt. Da wird die menschliche Selbstüberhebung ausgemalt, um im Kontrast dazu GOttes Kraft groß zu machen. Dabei sieht die Wirklichkeit trotz solcher Worte oftmals anders aus. Auch die Kirche vertraut schließlich nicht allein auf den Geist GOttes. Sonst gäbe es kaum Konsistorien und kirchliche Haushaltspläne. Und kaum jemand von uns würde wohl Leiten und Planen grundweg ablehnen. Es geht doch vielmehr um die Frage: Wo ist unser Tun gut und sinnvoll und wie kommt GOttes Geist darin vor?
Die Zusage „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen.“ entlastet uns aber auch. Wir müssen nichts vollbringen, was wir gar nicht schaffen. Das kann ein Trost sein, wenn eben nicht alles so läuft, wie gern gehabt. Wir haben nun einmal auch unsere Schwächen und Zipperlein. Die gehören zu uns, zu uns als ganzem Menschen. Aber GOtt hat uns eben auch seinen Geist versprochen. Der verbrennt uns nicht, sondern setzt sich dazu.
Und damit tun wir uns manchmal ganz schön schwer. Der Heilige Geist scheint ein spezielles Thema für besonders interessierte Gruppen oder für spekulative Denker zu sein. Heiliger Geist entzieht sich so ganz dem Anschaulichen. Es gibt in der Bibel zwar Bilder von Heiligen Geist. Er ist wie eine Taube, die vom Himmel herabkommt. Das Bild vom Heiligen Geist als Taube haben wir hier ja auch in der Gnadenkirche im Altarfenster. Oder er ist — so heißt es in der Apostelgeschichte — wie Feuerzungen, die sich auf die in Jerusalem Versammelten setzten. Aber es bleibt dabei: Immer ist es nur ein Wie. Es ist immer ein Vergleich. Konkret kann dieser Geist nicht beschrieben werden. Deshalb könnte, wer nicht etwa einer der sogenannten Pfingstkirchen angehört, ihn gar für eine schwer zugängliche, ferne Wirklichkeit halten.
Nun ist Geist zweifellos nicht greifbar. Aber ist er deswegen gleich schwer zugänglich? Wenn wir Schwierigkeiten haben sollten, ihn wahrzunehmen, dann muß das nichts mit seiner unerreichbaren Ferne zu tun haben. Nicht nur das, was uns sehr fern ist, kann uns fremd sein. Auch solches, das uns ganz nah und alltäglich ist, nehmen wir manchmal gar nicht mehr wahr. Gerade das, was wir täglich sehen, sehen wir deshalb oftmals nicht mehr. Da kommen wir vielleicht ständig auf der Arbeit im Gang an einem Gegenstand vorbei — und wenn wir danach gefragt werden, dann wissen wir gar nicht, ob er da auch wirklich steht. Wem ist solches oder ähnliches nicht schon passiert … Deshalb kann es diese unmittelbare Nähe sein, warum uns so wenig vom Heiligen Geist auffallen will. Eben, weil er sich so selbstverständlich äußert, daß es uns gar nicht mehr bewußt ist.
Wir können sicherlich kaum in verschiedenen Sprachen sprechen, wie die Jüngerinnen und Jünger in der Apostelgeschichte. Das heißt aber nicht, daß wir den Geist nicht hätten. So sagt Paulus in dem dem heutigen Episteltext vorangehenden Vers: Niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den Heiligen Geist. Und wir haben es im Evangelium gehört: Petrus wird von Jesus seliggepriesen. Denn das Du bist Christus, des lebendigen GOttes Sohn! sagt er nicht von sich aus, sondern weil es ihm eingegeben wurde. Das Glaubensbekenntnis des Petrus ist nach Jesu Worten kein Verdienst des Jüngers, sondern eine von GOtt geschenkte Einsicht. Und diese ist Voraussetzung dafür, daß Petrus „Fels“ der Kirche Jesu Christi werden soll. Christusbekenntnis und Grundlage der Kirche bedingen einander. — Anders gesagt: Das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias, dem Gesalbten GOttes, ist die Grundlage jeder Kirche und das Zentrum ihres Glaubens. Daran wird sie erkannt. Sie ist und bleibt Kirche nur als eine Gemeinschaft von Menschen, die aus der Erfahrung ihres Lebens bekennen, daß Jesus Christus ihrem Leben Sinnerfüllung und Ausrichtung gibt; daß sie in ihm finden, was ihr Leben heil macht, nämlich Versöhnung, Frieden, Hoffnung — auch über den Tod hinaus. An und mit Jesus Christus erfahren sie folgendes: Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter. — Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen tiefer. — Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen alles in einem anderen Licht.
Die Rolle, die Petrus durch Jesu Worte zugewiesen wird, weist uns auf eine Einsicht, die bei uns nicht immer populär ist: GOtt bedient sich besonderer Menschen für den Bau seiner Kirche. Aber diese Menschen sind keine unfehlbaren Heiligen. So wird dieser Petrus, der hier im Evangelium für den Pfingstmontag seliggepriesen wird, nur wenigen Verse weiter durch Jesus hart zurechtgewiesen. Weil Petrus der Leidensankündigung widerspricht, fährt Jesus ihn an: Gehe weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist!
Petrus, der Empfänger göttlicher Offenbarung, ist und bleibt also anfällig für sehr menschliche Gedanken und Reaktionen. Der Fels kann zum Stein des Anstoßes werden. So wird uns im Neuen Testament Petrus weiterhin begegnen. Gerade das kann uns als Vorbild und Trost zugleich dienen. Jesus baut gerade auf diesen Petrus, der immer wieder schwach war und oft Falsches tat. Er ist keine große Lichtgestalt, zu der er später gemacht wurde. Und bei Matthäus wird knapp ein Kapitel weiter die Vollmacht, die im heutigen Evangeliumstext Petrus verliehen ist, der gesamten Gemeinde zugesagt.
Das Binden und Lösen — also, zu lehren, was richtig ist und was falsch –, das ist somit keiner einzelnen Person als ein bestimmtes Amt zugesagt. GOtt hat in der ganzen Kirchengeschichte durch die unterschiedlichsten Frauen und Männer gewirkt. Gerade von den bekanntesten wissen wir auch viel zu viel Kritisches zu berichten. Sie haben allzu menschliche Schwächen. Und doch: In all ihren Stärken und Schwächen sind sie Werkzeuge GOttes für den Bau, Erfolg und Bestand seiner Kirche.
Wem diese Kirche, so wie sie ist, zu schäbig, zu wenig elitär, zu armselig ist, der hat nicht begriffen, daß dieser Petrus und daß diese Kirche bis heute tatsächlich nur aus der Barmherzigkeit GOttes lebt. Wir in der Kirche müßten allerdings wissen, daß GOtt selbst sich seine Kirche baut, und daß wir deswegen getrost und ohne jede Resignation Christus nachsprechen können: Diese, meine Kirche wird — trotz ihrer Prediger, trotz ihrer Gemeindeglieder, trotz ihrer Verwaltung, trotz ihres schwachen Glaubens, trotz des Allzu-Menschlichen in ihr — von den Pforten der Hölle und des Todes nicht überwunden.
Die GOttesherrschaft ist nicht so greifbar, daß wir sagen könnten: Hier ist sie, oder: Dort ist sie nicht. Aber sie ist durch Jesus Christus angebrochen — gerade in uns manchmal so ängstlichen, schwachen, ungeistlichen Menschen. Das wir das immer wieder zu spüren bekommen, das wünsche ich uns allen.
Und der Friede GOttes,
welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne
in Christus Jesus.
Amen.
Dipl.-Theol. Andreas Baumann