Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.
Liebe Gemeinde, noch immer Sommerzeit, noch immer Reisezeit. Viele Menschen haben zur Zeit noch Urlaub, und die Sommerferien sind auch noch nicht überall zu Ende. Die meisten Urlauber wollen aus ihren vier Wänden heraus. Sie wollen etwas Neues sehen. Sie brauchen Veränderung.
Wenn sich im Leben ganz allgemein etwas ändern soll, wenn wir es ändern wollen, dann müssen wir erst einmal in der Lage sein, die derzeitige Situation zu sehen, unsere Umwelt und uns zu erkennen.
Darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext; er steht am Anfang des 3. Kapitels in der Apostelgeschichte:
1Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf. 2Da wurde ein Mann herbeigetragen, der von Geburt an gelähmt war. Man setzte ihn täglich an das Tor des Tempels, das man die SCHÖNE PFORTE nennt; dort sollte er bei denen, die in den Tempel gingen, um Almosen betteln. 3Als er nun Petrus und Johannes in den Tempel gehen sah, bat er — auch — sie um ein Almosen. 4Petrus und Johannes blickten ihn an, und Petrus sagte: „Sieh uns an!“ 5Da wandte er sich ihnen zu und erwartete, etwas von ihnen zu bekommen. 6Petrus aber sagte: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers -– geh umher!“ 7Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke; 8er sprang auf, konnte stehen und ging umher. Dann ging er mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 9Alle Leute sahen ihn umhergehen und Gott loben. 10Sie erkannten ihn als den, der gewöhnlich an der Schönen Pforte des Tempels saß und bettelte. Und sie waren voll Verwunderung und Staunen über das, was mit ihm geschehen war.
Zunächst einmal werden wir Zeugen zweier parallel verlaufender Handlungen: Petrus und Johannes gehen zum Tempel, um das nach jüdischer Sitte um 15 Uhr vorgesehene Gebet zu verrichten. Und: Ein von Geburt an lahmer Bettler ist von Freunden vor ein Tempeltor gebracht worden – ein Tor, dessen Standort übrigens den heutigen Wissenschaftlern unklar ist. An diesem Ort soll er Almosen erbetteln. Das ist nichts Anrüchiges: In der jüdischen Frömmigkeitspraxis gilt Almosengeben genauso viel wie Beten! Und wie der Bettler nun ganz gewohnheitsmäßig jeden Vorübergehenden bittet, so tut er es auch bei Petrus und Johannes.
Und an der Stelle treffen die beiden Handlungsstränge aufeinander, doch nun ist Schluss mit dem Alltäglichen, Gewohnheitsmäßigen, Normalen. Der beiläufige Blickkontakt wird zum bewussten Sichansehen: Die beiden Apostel blicken direkt den Bettler an, und sie fordern ihn auf, er möge sie angucken. Diese nicht alltägliche Aufforderung führt natürlich auch zu höheren Erwartungen des Bettlers: ein besonders großzügiges Geschenk? Da müssen die ersten Worte des Petrus dann doch eine — wenn auch nur kurze — Enttäuschung gewesen sein: statt Geld nur gute Worte. Aber was für Worte: „Geh umher!“ — „Geh umher!“: Klingt das nicht wie Spott? Andererseits: in Vollmacht, im Namen Jesu Christi gesprochen? Und der Apostel ist nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch der Tat: Er — fasst — zu! Er — richtet — auf! Und wie in fast allen Wundergeschichten: Der Erfolg stellt sich ein. Der Bettler ist verändert. Er steht. Geht. Er springt umher, und er lobt Gott. Und er kann als jetzt gesunder Mann wieder den Tempel betreten. Und alle Leute, die ihn vorher kannten, sehen ihn springen und Gott loben. Und sind verwundert. Und staunen.
Ein Text, der in erster Linie zeigen will, wie die Apostel ihre Aufgaben lösen? Wie sie nicht nur vom Reich Gottes predigen, sondern auch Kranke heilen? Ein Text, der den lahmen Bettler in den Vordergrund stellt? Unwahrscheinlich: Weder von der Wunderkraft des Heiligen Geistes noch von der Stärke des Glaubens ist hier die Rede. Nein, das Subjekt der Heilung ist – Gott! Im Namen Jesu Christi wird geheilt. In seinem Namen hat sich das Leben des Lahmen geändert. Durch ihn hat sich die Welt geändert. Die Apostel treten hinter seinem Namen zurück.
Kritiker meinen zuweilen, die momentane Lage der Kirche sei genau den Worten des Petrus entgegengesetzt: Silber und Gold seien ja noch vorhanden, aber was dem Menschen nottut, was die Lahmen gehen und die Armen jubeln macht, was den nicht nur körperlich Blinden neue Sichtweisen beschert und uns, die wir alle herzkrank sind, nicht nur medizinische Heilung, das hätten wir nicht. Nach der Devise: Wunder gehen nicht mehr, dann also Almosen! An Stelle einer Predigt des Glaubens stünde Tun von Werken, diese aber verdrängten den Namen Jesu Christi.
Abgesehen davon, dass selbst die materielle Lage unserer Kirche so rosig nicht mehr ist — aber da, denke ich, sollte uns das Verhältnis zur Lage der Kirche anderer Länder schweigen lassen –, stimmt das auch ansonsten nicht so ganz. Wenn wir all unser Handeln, unser Tun von Werken, unser materielles Unterstützen in den Gemeinden nur so für uns täten, aus eitler Selbstbeweihräucherung, dann wäre Kritik im Sinne von Werkgerechtigkeit angebracht. Aber die Christen der Welt sind aufgerufen, ihrem Herrn in Wort und Tat nachzufolgen. Und schon früh haben sie erkannt, dass ihr Leben nicht nur von der Wortverkündigung bestimmt wird, sondern ebenso von diakonischem Handeln. Beides geschieht im Namen Jesu Christi. Unsere Gottesdienste feiern wir in seinem Namen. Und das Einsammeln unserer Kollekten gehört dazu. Und dabei bleibt es nicht: Viele Menschen arbeiten in der Kinder- , Kranken- oder Altenpflege, andere betreuen Migranten, Asylanten, Gefangene. Wie viele dieser Menschen gehen ihrer Tätigkeit aus ihrem christlichen Glauben heraus nach!?!?!? Und ich denke, das kann ein kranker Mann, eine alte Frau, ein ausländisches Kind auch spüren!
Eingangs der Predigt sprach ich von der Reisezeit, von „sehen“ und „ändern“ war die Rede. In der Zeit der politischen Wende, aber vor allem in den Jahren davor wie danach war ich in den Sommerferien oft mit Jugendlichen verschiedener Gemeinden in Ungarn. Und was in Deutschland erst allmählich zu den Spitzenmeldungen der Nachrichten gehörte, hatten wir in und bei Budapest an Ort und Stelle gesehen: ungarnstämmige Flüchtlingsfamilien aus Rumänien. Sie hatten Haus und Hof, Eigentum und oft auch engste Familienangehörige wie Frau und Kind zurückgelassen. Sie wussten, dass in Ungarn auch rumänische Spitzel tätig waren, und sie hatten Angst. Doch holländische und österreichische Jugendgruppen, Jugendliche aus der DDR und wir sprachen in vollen Kirchen zu ihnen, beteten mit ihnen und sangen für sie. Und wenn auch in Einzelkontakten manch verbale Kommunikation nicht klappte – mit Zeichensprache und einem Lächeln ging’s! Wir konnten ihnen kein Silber und Gold geben. Wir hatten nur im Namen Jesu Christi zu ihnen sehen, sie etwas aufrichten, an ihrem Befinden etwas ändern können. Hinter seinem Namen aber traten wir zurück.
Die Welt ändert sich durch Gott, auch wenn es die Welt nicht immer wahrhaben will. Wir können nur unterstützen, schauen, aufrichten. Aber das sollten wir auch tun. Amen.
Diakon Michael Koesling